Zusammengestellt aus einem 

Gespräch zwischen der

feministischen Ökonomin Mascha Madörin

und der Historikerin Christine Plüss

über die

„Ökonomie der Geschlechterverhältnisse im Tourismus“

 

Tourismus wird weltweit gefördert, nicht zuletzt mit dem Argument, Arbeitsplätze und Einkommen für Frauen zu schaffen.

Aus feministischer Perspektive erweist sich die Tourismus-Branche in verschiedener Hinsicht als besonders interessant:

- es handelt sich um einen wichtigen Wirtschaftszweig, in dem Frauen überdurchschnittlich stark erwerbstätig sind. Zunehmend spielen Frauen als Nachfragerinnen von touristischen Dienstleistungen eine Rolle

- In diesem Sektor sind die Grenzen zwischen regulierter und deregulierter, formeller und informeller Tätigkeit fliessend.

- Tourismus wird gefördert. Von besonderem Interesse ist dabei, wie traditionelle "weibliche" Fähigkeiten und Tätigkeiten in Erwerbsarbeit umgewandelt oder auf andere Art und Weise der (internationalen) Tourismus-Industrie untergeordnet werden.

- Ähnlich der Hausarbeit sind im Tourismus persönliche Dienstleistungen auf die Bedürfnisbefriedigung (in diesem Sinne auf die von TouristInnen) ausgerichtet. Sie unterscheiden sich grundsätzlich von den Dienstleistungen, die der Produktion oder Vermarktung von Waren dienen.

- Reiseorte sind nicht nur von Menschen bewohnte Räume, sondern auch Orte, wo bestimmte zwischenmenschliche Beziehungen oder Beziehungsverhältnisse zwischen den Geschlechtern angeboten, respektive produziert werden.

Die Tourismus-Industrie ist ein Wirtschaftsbereich, in dem besonders viele Frauen erwerbstätig sind. Laut OECD sieht der Frauenanteil unter den Angestellten im Tourismusbereich folgendermassen aus:

Griechenland 37%                   Niederlande 52%                   Türkei 63%

Spanien 46%                   Portugal 53%                   Dänemark 70%

Frankreich 49%                   Australien 58%                   Schweden 75%

Schweiz 50%                   Österreich 60%

Das jährliche Bruttoerwerbseinkommen für Vollerwerbstätige im Handel/Gast- und Reparaturge­werbe beträgt für:

Frauen mit ausländischen Pass                   Fr.                    41400.00

Schweizer-Frauen                   Fr.                    44200.00

Männer mit ausländischem Pass                   Fr.                    58500.00

Schweizer-Männer                   Fr.                    64675.00

Zum Vergleich das Bruttoerwerbseinkommen im Banken/Versicherungssektor für:

Schweizer-Frauen                   Fr.                    56189.00

Schweizer-Männer                   Fr.                    84500.00

(Zahlenmaterial 94/95, da die Touristik-Branche keine regelmässigen spezifischen Statistiken erstellt)

Im CH-Gastgewerbe sind, gemessen an der Gesamtwirtschaft, überproportional viele Frauen beschäftigt. Darin sind vor allem Schweizerinnen in höherqualifizierten Stellen anzutreffen. Der Anteil der Schweizer-Frauen in der Funktion einer leitenden Angestellten oder Direktorin liegt um ein Mehrfaches über dem nationalen Durchschnitt.

Gerade in dieser Branche liegt das Einkommensniveau generell tief.

Aufschlussreich wäre eine Analyse darüber, wie im Tourismus die Schnittstelle zwischen formeller und informeller Wirtschaft und zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit aufeinandertreffen und miteinander verhängt sind.

Wie werden unbezahlte Arbeiten, die vor allem von Frauen geleistet werden, vom formellen Sektor angeeignet?

Was heisst es überhaupt, wenn so überproportional viele Frauen in einem so schlecht entlohnten Wirtschaftszweig anzutreffen sind?

Tourismus, der doch weltweit u. a. mit dem Argument der "Einkommen und Arbeitsplätze für Frauen" propagiert wird?

Tourismus, der nicht weg rationalisiert werden könne, aber schlecht bezahlt wird.

Beruht die vielgepriesene Krisenresistenz etwa gerade darauf, wie Vermögenswerte, Fähigkeiten und Arbeit, die mehrheitlich schlechtbezahlt von Frauen geleistet wird, profitabel in den Tourismus-Sektor eingebunden werden?

Beispiel: Frauen-Arbeit auf Golfplätzen

Beim Golf wird einerseits unbezahlte natürliche Umgebung zu einem Bestandteil der Tourismusleistung, andererseits werden Frauen in das touristische Produkt eingebunden.

Zur spezifischen Attraktivität einzelner Golfplätze gehören:

- eine überwältigende Fernsicht

- wilde Vegetation als Umgebung

- Duft der Blumen am Rande

- Ruhe vor Zivilisationslärm

- Tanzzeremonien der Aborigines

- Schönheit und Harmonie zwischen Mensch und Natur

- schmalhüftige Mädchen in seidigen Sarongs auf dem Wege usw.

Psalmen werden gesungen auf die Schönheit der "unverdorbenen Natur", das Paradies, den "Garten Eden". Es geht nicht nur um ernsthaften Sport und Leistung, sondern auch um Genuss und Spass.

Wenn allerdings vom Preis gesprochen wird, ist die Anzahl der Golflöcher, sowie die Länge des Spiels ausschlaggebend.

Nebst der "wilden" und "schönen" Natur, können den Leistungssportlern und Genussmenschen junge, schöne Frauen als Schlepperinnen der Golfausrüstung (Caddies), angeboten werden. Diese ungesunde Arbeit ist miserabel bezahlt.

Der Golfspieler kann sich angesichts der Lasten-Schleppenden jungen Frauen so richtig als überlegener Mann fühlen.

Er kann wesentlich diskreter, billiger und spontaner als im Sexgewerbe weibliche "Liebes"-Dienste konsumieren.

Der Golfspieler kann in der Freizeit das nachspielen, was er während seiner Arbeitszeit unablässig praktiziert: seine ökonomische, rationale und leistungsorientierte Existenz bekommt Sinn, weil es eine ausserökonomische Realität gibt: Golfanlagen wären monoton, gäbe es nicht die "wilde" Natur und Frauen.

Golfplätze in traumhafter Umgebung sind nur in beschränkter Zahl produzierbar. Je mehr Golfspieler sich in diese Erholung der Weltelite drängeln, desto mehr verlieren sie ihren paradiesischen Charakter.

Frau, quasi der "unverdorbenen Natur" zugeordnet, ist Bestandteil des Pauschalarrangements. Was wären Karibik-Ferien ohne die Frau mit exotischem Drink in der Werbung!

Was bedeutet es, wenn Bilder von "Weiblichkeit", Frauen zugeschriebene Qualitäten, wenn Körper und Arbeitskraft von Frauen vermarktet und zum untrennbaren Bestandteil des touristischen Produktes werden?

Letztlich hängt die Konkurrenzfähigkeit von Tourismusunternehmen von den "Inbegriffen-Leistungen" ihrer Angestellten ab.

Beispiel: Reiseleiterinnen

Sie müssen nicht nur Management-Kompetenzen mitbringen, sondern alle Arten von Beziehungs-Arbeiten: vom therapeutischen Gespräch bis zum erotischen Geschäker. Sie haben unregelmässig und fast beliebig flexibel nachfrageabhängig zu arbeiten. Ihre "weibliche Attraktivität", ihre soziale Kompetenz und die persönliche Beziehungsarbeit ist in der Reiseleitungs-Tätigkeit inbegriffen.

Das Anforderungsprofil an ReiseleiterInnen ist ähnlich den Anforderungen an ManagerInnen, die dafür sehr hoch bezahlt werden.

Das grosse Bezahlungs-Gefälle zwischen Reiseleiterin und Managerin kann nicht allein darauf zurückgeführt werden, dass im Tourismus vorwiegend Frauen diese Leistungen erbringen, sondern dass die Beziehungs-Kompetenz der Managerin auf die Organisation von Produktions- und Dienstleistungsprozessen innerhalb der "Weltwirtschaft" ausgerichtet ist, während die soziale Kompetenz der Reiseleiterin zwar vom Tourismusunternehmen angeeignet und verkauft wird, aber (so wie Hausarbeit) direkt der Bedürfnisbefriedigung von TouristInnen dient.

Müssten die persönlichen Dienstleistungen der Freizeit-Industrie angemessen bezahlt werden, wären die touristischen Möglichkeiten, die einen wesentlichen Aspekt des Lebensstandards der TouristInnen darstellen, zum grossen Teil stark eingeschränkt.

Die Aggressivität, mit der die Einkommen der in der Reisebranche tätigen Personen (z.B. in der Flug-Industrie) gedrückt werden, geht einher mit der Aggressivität, mit der auf (noch) vorhandene Ressourcen zurückgegriffen wird: auf schöne Landschaften, Grundwasser, noch nicht erschlossene "exotische Kulturen" oder Formen von Beziehungsarbeit.

Dieser Prozess der Unterordnung von Produktionsgrundlagen, Arbeitskraft und Kompetenz unter die Verwertungsinteressen der Tourismusindustrie, kann als Ausdehnung der kapitalistischen Geldwirtschaft auf neue Bereiche bezeichnet werden.

Bei solchen Prozessen der Ausdehnung der Geldwirtschaft muss es ökonomische oder andere Zwänge geben, damit Menschen ihren Boden verkaufen und im Tourismus tätig werden.

Die Tourismusbranche zählt zu den beliebten spekulativen Investitionsprojekten mit einhergehender Immobilienspekulation und/oder Geldwäsche. Ebenso spielen die Tourismus-Förderungs-Programme in von Wirtschaftskrisen geschüttelten Regionen eine wichtige Rolle.

Die massive Entwicklung der Mega-Projekte, die in Südostasien "Golf-cum-Casino-Resorts" genannt werden und Hunderte von Hektaren oftmals fruchtbaren Ackerlandes beanspruchen, deuten darauf hin, dass Erträge, etwa aus Bodenspekulation und Schmiergeldzahlungen oder Geldwäsche, in den künftigen Casinos weit mehr Gewicht haben als alle in ferner Zukunft erst zu erwartenden Einnahmen aus dem Betrieb der Anlagen.

Die rücksichtslose Expansion beschleunigt den Prozess der Verdrängung traditioneller, eher auf Subsistenz ausgerichteter Tätigkeiten im ländlichen Betrieb.

Die nötigen Bedingungen zu ökonomischen und anderen Zwängen, die Menschen zum Verkauf ihres Bodens und zur Erwerbsarbeit im Tourismus zwingen, werden auch durch die Tourismusentwicklung gefördert. Sie bereitet das Terrain vor, um mit ihrem Ressourcenverschleiss solche Zwänge zu schaffen.

 

Zusammenstellung aus:

"Der Duft der Blumen am Rande des Weges"

"Herrliche Aussichten!", Frauen im Tourismus

Hg. Karin Grüter, Christine Plüss

Rotpunkt-Verlag, Zürich 1996

Hinweis auf die neue Publikation

von Christine Plüss

"Ferienglück aus Kinderhand"

Kinder im Tourismus

Rotpunkt-Verlag, Zürich 1999

Ursula für Radio LoRa, ZH, Schweiz